Regattabericht zum "Lutine Trophy-Race" (22.8.-27.8.99)


 
Im ersten Moment erscheint das, was der britische Royal Ocean Racing Club (kurz: RORC) gemeinsam mit dem Lloyd´s Yacht Club und dem niederländischen Nordzee Club diesen Sommer auf seinem Wettfahrplan hatte, als ein etwas merkwürdiges Vorhaben: Eine Regatta zu Ehren eines vor 200 Jahren gesunkenen Schiffes zu veranstalten. Sobald man jedoch mehr über die Geschichte und das Geheimnis der Lutine erfährt, desto verständlicher wird die Idee hinter dieser Regatta.

Am 8. Oktober 1799 sank die Fregatte HMS Lutine in schwerem Sturm zwischen den westfriesischen Inseln Vlieland und Terschelling, nachdem sie auf eine Sandbank aufgelaufen war. Von den 240 Menschen an Bord erreichten zwei das Ufer, beide starben jedoch kurz darauf an Erschöpfung. Das Schiff befand sich auf seinem Weg von der ostenglischen Hafenstadt Great Yarmouth nach Hamburg, wo die Ladung - hauptsächlich Goldbarren, die heutzutage einen geschätzten Wert von 120 Million DM hätten - für den britischen Außenhandel in der Hansestadt bestimmt war. Das Schiff war von der damals noch jungen Gesellschaft Lloyds versichert worden, die den Wert der Goldbarren erstatten mußte.

Auf den Spuren der Lutine wandeln wollte auch die Bochumer Crew der Segelyacht "CHOU CHOU". Die 9,35 m lange Yacht ist eigentlich im niederländischen Markermeer zu Hause. Für den Nordsee-Törn wurde die CHOU CHOU von Eigner und Skipper H. J. Schulze und 5 Crewmitgliedern gesegelt.

Der ursprüngliche Plan, die Regatta in zwei Etappen - einmal von Holland nach England und zurück - zu veranstalten, funktionierte nicht, da für die Hinfahrt zur britischen Insel zu wenige Schiffe gemeldet wurden. So segelten eine Handvoll Yachten ohne Regatta-Stress am 22. August 1999 vom holländischen Nordsee Hafen Ijmuiden los: bei 3 Windstärken und Wind aus Nord/Nord/Ost Richtung englische Ostküste, also einem Kurs von ca. 270 Grad. Der Wettergott war uns gnädig gesonnen, so daß wir ohne große Ereignisse die 100 Seemeilen in 23 Stunden ruhiger Fahrt hinter uns brachten - inklusive einer traumhaften Nachtfahrt mit Sonnenuntergang "vom feinsten" und Vollmondlicht. Pünktlich zur englischen Breakfast-Zeit erblickten wir die Klippen der ostenglischen Küste.

Nach einem Tag zum Ausruhen begann auch schon ein vom örtlichen Yachtclub gemeinsam mit dem RORC erstklassig organisiertes Regatta-Vorprogramm in Great Yarmouth: Einweihung des neuen South-Quay im Hafen mit Barbecue und einer Big-Band, Eröffnung einer Ausstellung zur Geschichte der Lutine sowie historischen Gemälden zum Thema "Schiffe im Sturm". Am Regattavorabend gab es einen Empfang im Rathaus - das Kennenlernen der anderen Regatta-Teilnehmer war nur einer der vielen angenehmen Aspekte an diesem Abend.

Die Meldung des einzigen deutschen Schiffes CHOU CHOU, die eine Segelyacht vom Typ Waarship 900 (Waarship: englisch phonetisch = Kriegsschiff) ist, wurde von den englischen Teilnehmer kommentiert. Vor Ort war man allerdings "beruhigt", nachdem man sich von den friedlichen Absichten der CHOU CHOU-Crew überzeugt hatte.

Am Morgen des 26. August 1999 war es dann soweit: 23 seegehende Yachten aus England, den Niederlanden und eben einem deutschen Schiff - die CHOU CHOU - verließen gemeinsam den Hafen von Great Yarmouth. Auch Prominenz befand sich im Regattafeld, so zum Beispiel die Yacht "Arbitrator", die in diesem Jahr beim legendären Admiral´s Cup für England an den Start gegangen war.

Start unter Spinnacker in Great Yarmouth

Der Start vor der Pier von Great Yarmouth fand bei Sonnenschein und südlichen Winden von 4 bis 5 Beaufort malerisch unter Spinnacker statt. Das Startsignal wurde von Lloyds´ CFO Max Taylor gegeben. Dies zeigt die Bedeutung des Segelsports in England - eine Persönlichkeit im Rang eines VW-Chefs F. Piech ist bei den deutschen Segelregatten wohl unbekannt.

Auch bei dieser Nordseeüberquerung spielte das Wetter mit: Etwas mehr Wind als auf der Hinfahrt - 4-5 Beaufort aus Süd/West - und Sonnenschein. Das Regattafeld wurde begleitet vom niederländischen Marineschiff "Buyskes", das auch regelmäßig Wetterberichte durchgab. Bei einem Vorwind-Kurs wurde direkt nach dem Start bei den meisten Schiffen der Spinnacker gesetzt - auch auf der CHOU CHOU und für die meiste Zeit der folgenden 22 Stunden blieb der "Spi" auch oben.

Nach dem Start mit einem Kurs entlang der Seafront von Great Yarmouth wurde die vorgelagerte Untiefe umfahren. Nach der North Scroby buoy wurde der Kurs auf die MSP Tonne vor Ijmuiden abgesetzt.

Die gesamten 147 Seemeilen bis zur Ziellinie, die zwischen den Inseln Vlieland und Terschelling lag, wurden zu einem schnellen und spannenden Rennen, wobei die CHOU CHOU im ersten Drittel des Regattafeldes segelte.

Ca. 15 Seemeilen vor der Ziellinie wurde es dann nochmals spannend - ein Bolzen von der Ruderanlage der CHOU CHOU hatte sich gelöst, die Yacht war manövrierunfähig. Der Spinnacker mußte geborgen werden und das Schiff stand im Wind. Besonders ärgerlich war, daß zudem die Yacht "Carezza", ein Schiff der selben Regattaklasse wie die CHOU CHOU, das bisher immer gut zwei bis drei Meilen hinterher segelte, langsam an der CHOU CHOU vorbeizog, während die Reparaturarbeiten ausgeführt wurden - diese konnten dann doch in erstaunlich kurzer Zeit vollbracht werden. Und wie so oft ergab sich auch aus dieser Situation trotz allem eine positive Nebenwirkung: Nachdem die CHOU CHOU wieder auf das Ruder reagierte, konnte aufgrund der leicht veränderten Windstärke ein noch größerer Spinnacker hochgezogen werden - die Aufholjagd zur Carezza begann. Kurz vor der letzten Tonne der Regatta konnte die CHOU CHOU mit einem geschickten Manöver an der Carezza vorbeiziehen. Die Überquerung der Ziellinie wurde dann gebührend begossen. Das Regatta-Ergebnis brachte dann nochmals eine schöne Überraschung - trotz Ruderschaden, der sicher 2 Plätze gekostet hat, ist die CHOU CHOU als viertes Schiff von 11 Schiffen ihrer Klassen ins Ziel gegangen - mit 5 Sekunden Rückstand nach berechneter Zeit zum drittenPlatz. Für die CHOU CHOU bedeutete dies auch, das die bisherige Bestzeit der Yacht über 24 Stunden übertroffen wurde.

Die Enttäuschung, ein Platz auf dem Treppchen so knapp verpaßt zu haben, war bei der CHOU CHOU-Crew schnell vergessen - in Erinnerung bleibt eine Nordsee-Überfahrt bei idealen Windverhältnissen und eine von den englischen Veranstaltern stilvoll ausgerichtete Regatta. Auf Basis dieser Erfahrungen ist es selbstverständlich, daß die CHOU CHOU-Crew in den nächsten Jahren eine Teilnahme an einer Regatta im Mekka des Segelsports auf dem Solvent vor Cowes plant.

Übrigens: Trotz vielfacher Versuche, konnte das verlorene Gold der Lutine noch nicht gefunden werden, lediglich ein paar Münzen und vereinzelte Goldbarren sind wieder aufgetaucht. 1858 wurde die Schiffsglocke entdeckt, die nun als Wahrzeichen von Lloyds Ltd. fungiert, auch das Ruder und die Uhr das Captains wurden gefunden. Vor kurzem hat die Gesellschaft, die zur Zeit mit den Bergungsarbeiten betraut ist, das Heck der Lutine orten können - ob dort auch der Goldschatz der Lutine zu finden ist?
C. Schreiner, Crew